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URSPRÜNGE Die Arbeit von Johanna Pernot ist eine Reflexion über die apriorischen Formen der Sinnlichkeit, die Voraussetzungen aller Erfahrung: Raum und Zeit. Sie ist in erster Linie durch den Kubismus und die Polaroid Portraits David Hockneys geprägt. Ihre Fotocollagen setzen sich mit berühmten Orten, Monumenten, manchmal Menschen auseinander, die sie durch die Vervielfältigung der Perspektiven und Distanzen im Raum dekonstruiert und neugestaltet.

Die Fotocollagen bewegen sich nicht um das Objekt, sondern leiten den Zuschauer unbewusst dazu, in seinen Kern einzudringen. Es geht nicht nur darum, das Objekt fragmentiert darzustellen, und dadurch eine Überlegung über die Perzeption und das Funktionieren des Menschenauges anzustoßen. Es geht viel mehr darum, das Objekt neu zu interpretieren, es sich anzueignen und aus der realen Umgebung ein Material zu schaffen, welches nach der eigenen Vorstellung neu konstruiert wird und eine neue Atmosphäre oder Geschichte erzählen kann.

METHODIK
Die Quadrate
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Jede Fotocollage besteht aus vielzähligen Vierecken, welche eine Art Mosaik bilden. Die einzelnen Quadrate können dabei als kleinste digitale Bildeinheit – das Pixel – verstanden werden. Jedes Element wird während des kreativen Schaffensprozesses aus Hunderten Fotos ausgewählt. Anschließend werden die ausgeschnittenen Elemente zu einem neuen Erlebnis von Raum und Zeit zusammengesetzt.
Die Zeit Die verwendeten Photographien werden zu verschiedenen Augenblicken, beziehungsweise Tagen aufgenommen, um ähnlich wie Monet in seinen Arbeiten The Thames at Westminster oder La Cathédrale de Rouen, mit verschiedenen Belichtungen experimentieren zu können. Während indes die Beleuchtung eines Gemäldes beziehungsweise Klischees durch den Augenblick der Konzeption bestimmt und begrenzt wird, ermöglichen hingegen die Diversität der Fotographien und das Nebeneinandersetzen von verschiedenen Augenblicken, diese konzeptionelle Geschlossenheit zu durchbrechen und Licht- und Wetterwechsel in ein und demselben Bild stattfinden zu lassen.
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Regen und Sonne, Nebel und Himmel vermischen sich in der Halong Bucht
Der Raum Jede Fotocollage beschäftigt sich mit den Charakteristika eines bestimmten Ortes; sei es eine Natur- oder eine Stadtlandschaft. Die Vielfältigkeit der Photographien hebt die Grenzen des Menschenauges auf, indem sie den Ort unter zahlreichen Winkeln auffasst und die Pluralität der Standpunkte verdeutlicht. So befinden sich in der Photocollage Place de la Concorde die Nationalversammlung und die Magdalenakirche nebeneinander, während sie in Wirklichkeit gegenüberstehen. Die Objekte sind – anders als in der Realität – nicht als vom Raum determiniert zu denken.
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Place de la Concorde
Wie in den kubistischen Werken wird das Zuschauerauge gefangen und gezwungen innerhalb eines auf vorbestehenden Schemen nicht beschränkbaren Bildes zu wandern. Die Perspektiven- und Abstandsinkohärenz verleitet es, zu reisen und den Ort neu zu erfinden.
Während der Fotograf beim Ablichten eines Ortes alle Elemente einfriert, erzeugt Johanna Pernot durch ihre Komposition eine Koexistenz verschiedener Winkel und Fokusse, welche das Subjekt unweigerlich in Bewegung setzen. So wird aus dem Wahrzeichen der französischen Metropole Paris ein tanzender Eiffelturm, der scheinbar von einem Bein auf das andere springt.
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French Cancan
Das Raster Das weiße Raster spielt eine wichtige Rolle in dieser Dynamik: Es bricht die Kontinuität des Bildes und zwingt die Vorstellungskraft dazu, die zwischen den Vierecken liegenden Spielräume auszufüllen. Sie sind also kein Leerraum, sondern ein unsichtbarer Gedankenstrich, welcher unbewusst von der Fantasie neu ergänzt werden muss.

Hinzu kommt, dass die freie Kombination der Vierecke eine Neugestaltung des Raums ermöglicht. Die ursprüngliche Disposition, die Linien der Monumente und der Konstruktionen werden nicht mehr beachtet: Ein Turm kann in der Luft schweben, sich vervielfältigen oder gefährlich schwanken. (The Babel of Shanghai,). Jener Verstoß gegen die logischen Perspektiven und Gravitationsgesetze ermöglicht die komprimierte Darstellung zahlreicher Motive in einem einzigen Werk; darüber hinaus ist dieser Ausbruch der Ausdruck einer Freiheit, die einen Sinn sucht.

DER SINNAUFBAU
Nichts wird stattgefunden haben als die Stätte“ (Mallarmé)
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Worin liegt nun das Interesse begründet, mit Zeit und Raum zu experimentieren? Es sind im Wesentlichen zwei, sich zuweilen widersprechende Ansätze, die Johanna Pernot mit ihrer Arbeit verfolgt:
Der erste Ansatz ist ästhetischer Natur – es geht darum, die flüchtige Schönheit eines Motives oder einer Stätte durch die Addition aller Vierecke zusammenzufassen. Jedes einzelne Viereck enthält eine Fraktion, einen glanzvollen Teil jener Schönheit, den es zu greifen versucht.
Der zweite Ansatz ist ontologisch geprägt. Das Experiment mit Zeit und Raum bringt das Unveränderliche an den Tag: das von Akzidenzien und Differenzen abstrahierte Wesen der Objekte. Oder, anders formuliert: Das, was die Objekte – Stätten oder Motive – im Wesentlichen definiert.

Nach diesem Prinzip verbindet Johanna Pernot in ihrer Arbeit Halong Bay Wetterwechsel, weitentfernte Buchten, Kalkeruptionen, Schiffe und Menschen, ein Fischerdorf... zu einem einheitlichen Mikrokosmos, dessen Wesen die Harmonie und die vor Zeit und Kultur geschützte Anmut ist.

Ebenso fasst die Fotocollage von Amsterdam mehrere Sichten und Motive der niederländischen Hauptstadt zusammen (die Brücke, das Fenster, die Laterne, das Schiff und das Fahrrad…), um daraus eine ideale Vision anzubieten.
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Amsterdam
Interpretation Im allegorischen Sinne ist die Fotocollage French Cancan keine einfache Abbildung des weltberühmten Pariser Monumentes. Das traditionell phallisch verstandene Symbol wird durch Johanna Pernot verweiblicht: der Turm tanzt, die Volants seines festonierten Kleides drehen sich um seine Beine; in der eisernen Dame wird der schlüpfrige Beobachter sogar eine mit Scheide und Schenkeln breit gespreizte Tänzerin entdecken können… Bilder und Phantasmen überlappen sich und stellen dabei die von Paris in der kollektiven Phantasie verkörperten Hauptstadt der Liebe dar.
Blow up ist eine Fotocollage der Tuilerien-Gärten in Paris.
Nach dem Vorbild des Antonionischen Filmes kann sie ebenso als eine Allegorie der fotografischen und künstlerischen Schöpfung interpretiert werden.
In diesem Sinne werden die links im Vordergrund scheinbar laufenden Bronzestatuen zu den im Zentrum tanzenden Grazien. Wie? Obwohl der von den Bronzestatuen betretene Rasen leer wirkt, verstellt er in Wirklichkeit drei kleine Sockel sowie den Schatten der Fotografin. In diesem Raum findet der eigentlich unsichtbare Zauber der Kunst statt: Während sie die Sockel betreten, verwandeln sich die Bronzestatuen zu einem wesentlichen Kunstwerk. Das breite Podest unterstreicht dabei den Charakter des Kunstwerkes. Blow up stellt die Trinität der Kunst dar: Die Realität (die dunklen Statuen links) wird von dem verborgenen Fotografen zu einem Kunstwerk (die hellen Nymphen im Zentrum) verklärt — das grünliche Becken rechts versinnbildlicht das Entwicklerbad, in dem der Fotograf seine Bilder invertiert.
Interpretation Im allegorischen Sinne ist die Fotocollage French Cancan keine einfache Abbildung des weltberühmten Pariser Monumentes. Das traditionell phallisch verstandene Symbol wird durch Johanna Pernot verweiblicht: der Turm tanzt, die Volants seines festonierten Kleides drehen sich um seine Beine; in der eisernen Dame wird der schlüpfrige Beobachter sogar eine mit Scheide und Schenkeln breit gespreizte Tänzerin entdecken können… Bilder und Phantasmen überlappen sich und stellen dabei die von Paris in der kollektiven Phantasie verkörperten Hauptstadt der Liebe dar.
I and the Eye ist von Anish Kapoors Kunstwerk inspiriert, welches er für die Monumenta 2011 im Grand Palais konzipiert hat. Die Fotocollage symbolisiert die Konfrontation des Menschen (durch das Ich verkörpert) mit dem Universum. Trotz seiner Anwesenheit im Vordergrund ist seine gebeugte Gestalt doch winzig; sie läuft Gefahr, von der Expansion des Raumes und der Zeit erdrückt zu werden. In jener beängstigenden Gegenüberstellung mit dem Unendlichen und dem Vakuum ist das Ich derjenige, der es wagt, sich von der beruhigenden Welt abzuwenden, die die Menschen (links, neben dem Notausgang, den die Verblendung und die Verweigerung verkörpern) erbaut haben. Damit erfasst das Ich ein Geheimnis, dessen Oberfläche es nur andeuten kann. Das Innere und der Raum hinter der Oberfläche bleiben verborgen.
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